Was macht uns glücklich?

Reportage von Luis Flury und Sophie Messerli

Ein neuer Mensch wird geboren, von ihm wird erwartet, dass er schnell laufen, sprechen und in der Schule rechnen und schreiben lernt. Ihm wird ab Tag eins eingetrichtert, dass Noten wichtig sind und der Weg zum Erfolg nur über einen guten Abschluss führt. Denn nur wer erfolgreich ist, verdient viel Geld und wird glücklich und zufrieden. Doch: Brauchen wir all das? Brauchen wir viel Geld, um glücklich zu werden?

Wie wird Glück gemessen?

In einem Interviewgespräch mit Dr. Reto Odermatt, Lehrbeauftragter der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät WWZ, fanden wir Antworten auf diese Frage. Er erklärte uns, dass die üblichste Variante, um Glück zu messen, sei, die Menschen zu fragen: “Auf einer Skala von sehr unzufrieden bis sehr zufrieden, wie zufrieden sind Sie insgesamt mit Ihrem Leben?” Man überließ die Frage den Menschen selbst, indem sie sich selbst einschätzen. Dabei sei aber die Validität ein wichtiger Aspekt. Wie verlässlich sind die Selbsteinschätzungen der Menschen? Diese “Messfehler” können aber ausgeschlossen werden, indem man weitere Aspekte dazu nimmt, wie zum Beispiel, ob die Menschen mehr oder weniger lachen, ob sie objektiv gemessen gesund sind oder ob sie einen tiefen Stresspegel haben. So könne ein Abgleich gemacht werden, ob die Aussagen aussagekräftig sind, erklärt Odermatt.

Reto Odermatt, von wwz.unibas.ch
Reto Odermatt, von wwz.unibas.ch

Glück braucht Gefühle

Unsere Welt fühlt sich normal an. Es scheint, als hätten wir schon immer so gelebt wie heute. Wir haben uns eine Welt geschaffen, in der wir nicht mehr ums Überleben kämpfen müssen. Essen, ein Zuhause, staatlicher Schutz und medizinische Versorgung fühlen sich selbstverständlich an, sind es aber nicht. Über 99,9% der Menschheitsgeschichte lebten wir noch ganz anders. Als die ersten Menschen vor 4,4 Millionen Jahren lebten, sah der Alltag noch ganz anders aus. Der Mensch war ein nomadischer Sammler und Jäger und lebte in Gruppen von 20-150 Menschen. Durch die Evolution veränderte sich der Mensch und passte sich seiner Umgebung an. Wenn uns etwas passierte oder wir etwas taten, das unsere Überlebenschancen verringerte, wurden wir mit unangenehmen Gefühlen bestraft. Bei Ereignissen, welche unsere Überlebenschancen steigerten, wurden wir hingegen mit guten Gefühlen belohnt. So haben sich alle Gefühle und Bedürfnisse entwickelt, weil sie zu dieser Zeit die Überlebenschancen steigerten. 

Das Problem der heutigen Zivilisation 

Doch im Laufe der Zeit haben wir unsere eigene Welt erschaffen. Durch die Agrarrevolution wurden wir sesshaft, und seit den industriellen Revolutionen wächst unser Wohlstand exponentiell. Plötzlich fanden wir uns in einer Welt wieder, in der wir nicht mehr ums Überleben kämpfen mussten. Trotzdem haben wir immer noch die gleichen Grundgefühle und Grundbedürfnisse wie unsere Vorfahren. Das ist ein Problem, denn heute haben wir Bedürfnisse, die nicht mehr zeitgemäß sind. Zum Beispiel ist es heute nicht überlebenswichtig, Anerkennung von Mitmenschen zu erhalten, aber wir leiden dennoch, wenn diese wegfallen. Das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung beachten wir zwar, aber das gilt nicht für alle Bedürfnisse. Als wir noch Nomaden waren, war es zum Beispiel überlebenswichtig, unsere Umwelt zu kennen. Daher entwickelten wir das Bedürfnis, unsere Umgebung zu erkunden und zu erforschen. Heute ist dieses Bedürfnis überflüssig, weshalb wir es nicht ausreichend beachten. Somit leben wir heute in einer Welt, die nicht vollständig auf unsere Bedürfnisse angepasst ist.

“Geld ist wichtig um glücklich zu werden” ~ Reto Odermatt

Geld sei wichtig für die Zufriedenheit, und es könne glücklich machen, aber das Entscheidende am Geld sei nicht möglichst viel davon zu haben, sondern genug, um ein würdevolles Leben führen zu können, schildert Herr Odermatt. Ein Leben ohne ständige Schweißausbrüche, ohne die Angst, dass der Lohn nicht bis Ende des Monats ausreichen wird, ein Leben, in dem Geld nicht als wichtigster Faktor angesehen wird. Armut und finanzielle Unsicherheiten seien sehr starke Unzufriedenheitsfaktoren. Wenn man den ganzen Tag nur daran denken muss, wie man sein Geld verwalten soll, und wenn man ständig Angst vor Verlusten hat, führe dies über kurz oder lang zu großer Unzufriedenheit. Mehr Geld macht nur dann glücklicher, wenn es die finanziellen Unsicherheiten lindert. Bei einem höheren Einkommensniveau hätte der einzelne Franken hingegen einen geringeren Einfluss auf die Zufriedenheit. Diese Sorglosigkeit kann aber auch Einfluss auf unsere Dankbarkeit nehmen. Wenn es selbstverständlich ist, dass man sich nicht ständig Gedanken über Investitionen machen muss, gerät oft die Wertschätzung in den Hintergrund.

Dankbarkeit und Wertschätzung

Uns sind nicht immer alle Informationen präsent, ob Gefühle, Ängste, Aufgaben oder andere Informationen, die irgendwo in unserem Gehirn gespeichert sind. Indem wir uns immer wieder bewusst machen, was wir eigentlich haben, hilft es uns, mit Unsicherheit in Situationen umzugehen, in denen Stress oder Ängste großen Einfluss haben. Dankbarkeit ist eine positive Gefühlserfahrung, die jeder hin und wieder mal erfahren sollte.

In Assuan, einer Stadt am Nil in Ägypten, wurden mir diese Tatsachen verdeutlicht. In dieser Stadt hat es laut Wikipedia 1,87 Millionen Einwohner, die alle eng aneinander leben. Es gibt die Reichen, die Sorte Menschen, denen die Hotels gehören, große Passagierschiffe besitzen oder Geschäftsführer eines anderweitigen Geschäftes oder Unternehmens sind. Diese Leute findet man kaum auf den Straßen, sie sitzen in ihren klimatisierten Häusern mit Strom und fließendem Wasser. Diesen Leuten geht es aus finanzieller Sicht gut. Auf der anderen Seite gibt es jedoch Kinder, Eltern und Großeltern, die diese Privilegien nicht besitzen. Sie kämpfen Tag für Tag um ihr Essen, ihr Trinken, ihren Schlafplatz und schlussendlich um ihr Überleben. Alle müssen mithelfen, ob klein, jung, alt, groß, dick oder dünn, jeder Beitrag zählt. Die Menschen wirken erschöpft, sie sind müde und kraftlos. Das einzige, was ihnen hilft, ist ihr Glaube, ihre Familien und ihre Freunde, die sich alle gegenseitig unterstützen, wo sie können. Diese Menschen zeigen mir erneut, wie dieser finanzielle Unterschied das Glücklichsein erschweren kann. Auf mich wirken diese Leute trotz allem keineswegs undankbar, im Gegenteil. Die ärmeren Leute in Assuan freuen sich über weitaus kleinere Dinge als wir es tun. Wertschätzung ist für sie sehr wichtig, verriet uns ein Händler auf der Straße, und bekanntlich ist mit Wertschätzung auch Dankbarkeit verbunden.

Markt in Aswan (Ägypten), fotografiert von Daniel Messerli, April 2023
Markt in Aswan (Ägypten), fotografiert von Daniel Messerli, April 2023

Zufriedenheit am Arbeitsplatz

Auch die Zufriedenheit am Arbeitsplatz nehme einen großen Einfluss auf unsere Zufriedenheit, sagte uns Herr Odermatt. Es sei wichtig, dass man sich ernstgenommen fühlt und vom Arbeitgeber wertgeschätzt wird. Es sei wichtig, dass man sich selbst bewusst ist, welchen Beitrag man mit seiner Arbeit leistet und welchen Wert man als Person für das Unternehmen, die Gemeinde oder den Staat hat. Wenn man sich der eigenen Wichtigkeit am Arbeitsplatz bewusst ist, verbessere es deutlich die Zufriedenheit am Arbeitsplatz.

«Zufriedenheit am Arbeitsplatz ist wichtiger als der Lohn» ~ Ueli Käser

Von der Geschäftsleitung einer Stiftung zum Busfahrer, der täglich Berner von A bis Z führt, ob zur Arbeit oder zur Schule, genau diesen Weg beschritt Ueli Käser. Ein Familienvater, dem seine Zeit mit der Familie und die Zufriedenheit am Arbeitsplatz wichtiger waren als sein Lohn. In einem Restaurant mitten in der Stadt Bern verriet er uns, dass die Verantwortung als Geschäftsleitung sehr groß war und dass es ihm schwergefallen ist, abends von der Arbeit abzuschalten. Dieses Problem belastete ihn oft, und er könne heute in seinem neuen Beruf viel besser damit umgehen, was einen positiven Einfluss auf seine Zufriedenheit hat.

Ueli Käser, Busfahrer Bernmobil, intranet.bernmobil.ch
Ueli Käser, Busfahrer Bernmobil, intranet.bernmobil.ch

Warum es nie genug sein wird

In unserer heutigen Welt haben wir alles, was wir zum Überleben brauchen, doch es scheint, als wäre es immer noch nicht genug, um glücklich zu sein. Es scheint, als ob wir nur noch dieses eine Ziel erreichen müssten, um dann endlich glücklich zu sein. Aber nach Erreichen dieses Ziels fühlen wir uns vielleicht für einen kurzen Moment glücklich, doch dieses Glück nimmt schnell ab und wird durch eine innere Leere ersetzt. Um diese Leere zu vertreiben, fokussieren wir uns nach kurzer Zeit erbittert auf ein neues Ziel. Doch dieses Streben nach Glück führt nicht zum Glück. Aber warum ist das so? Wie schon erwähnt, entstand alles, was uns als Mensch ausmacht, aus der Evolution, und aus evolutionärer Sicht ist es nicht hilfreich, durch Ziele Langzeitglück zu erreichen. Nehmen wir mal an, dass es in der Menschheitsgeschichte einmal einen Menschen gab, der durch eine glückliche Genmutation nach einem Erfolg keinen Drang nach weiteren Erfolgen verspürte und einfach glücklich war. Doch dieser Mensch hätte wegen seines Glückszustandes einen geringeren Drang, sich um sein Überleben zu kümmern, und wäre dadurch wahrscheinlich ausgestorben. So sind wir heute nicht die Nachfahren von Menschen, die Langzeitglück durch Ziele erreichen, sondern von Menschen, die nach Erreichen eines Ziels keine Zeit mit Glücklichsein verschwenden, sondern erbittert dem nächsten Ziel hinterherjagen.

Streben nach Glück

Das Streben nach Glück macht uns nicht glücklich und wird uns im Gegenteil unglücklicher machen. Buddha, der Begründer des Buddhismus, behauptete, dass das Streben nach Glück die Wurzel allen Unglücks sei. Wenn wir nach Glück streben, haben wir Erwartungen und Vorstellungen darüber, was es braucht, um glücklich zu sein. Wir bemühen uns dann hartnäckig, diese Erwartungen und Vorstellungen vollständig zu erfüllen. Wenn sie jedoch nicht vollständig erfüllt werden, sind wir unglücklich. Das Problem besteht jedoch darin, dass diese Vorstellungen nie vollständig erfüllt werden können. Wenn wir sie erfüllen, merken wir, dass das Glück nicht dauerhaft anhält. Im Zustand des Strebens bemerken wir irrtümlicherweise, dass dies daran liegt, dass wir ein weiteres Ziel noch nicht erreicht haben, und werden wieder unglücklich. So sind wir ständig im Zustand des Strebens und rennen unglücklich dem nächsten Ziel hinterher.

Der Weg ist das Ziel

Um glücklich zu werden, muss man den Zustand des Strebens hinter sich lassen und das Hier-und-Jetzt akzeptieren, genau so wie es ist. Man sollte Ziele so setzen, das der Weg dorthin einem Freude bereitet. Am wichtigsten ist, Freude am Tun zu entwickeln und nicht nur in den Zielen danach zu suchen.

«There is no road to happiness because happiness is the road. » ~ Buddha

Jeder Mensch hat mit Sicherheit etwas, das er oder sie gut kann und mit voller Leidenschaft tut. Genau solche Dinge sollte man tun, denn im Zustand der Leidenschaft entsteht tausendmal mehr Glück als im Zustand des Strebens. Eine weitere Kunst, die zum Glück führt, ist es, sein Glück von nichts abhängig zu machen und trotzdem jeden Moment zu geniessen.

Tipp to go

Dankbarkeit ist eine der wichtigsten Eigenschaften, um Glück zu erreichen. Sie hilft uns, das Hier und Jetzt so anzunehmen, wie es ist. Forscherinnen und Forscher haben herausgefunden, dass Dankbarkeit sogar trainiert werden kann. Eine der besten Methoden ist ein Dankbarkeitstagebuch. Jeden Abend nur fünf Minuten Zeit nehmen und drei Dinge aufschreiben, für die man dankbar ist, kann bereits einen großen Unterschied machen. Ich schreibe schon seit langem ein Dankbarkeitstagebuch und merke, dass es meinen Blick mehr auf das Positive im Leben lenkt.


Autoren: Luis Lury & Sophie Messerli